Wir sind Chiara und Marie, studieren beide Medizin und haben eine Auslandsfamulatur in der Notaufnahme auf Sansibar abgelegt. Wir waren voller großer Erwartungen und auf die schlimmsten Fälle vorbereitet. Was wir dann tatsächlich wirklich alles gesehen haben, zeigen wir dir anhand einiger Fälle auf. In diesem Post wirst du keine Bilder von Patienten finden. Der Datenschutz und damit die Anonymität unserer Patienten sind uns sehr wichtig, weshalb dieser Post ausnahmsweise mit weniger Bildern auskommen muss. Nichtsdestotrotz wird dieser Post vermutlich einer der umfangreichsten und größten auf unserem Blog werden.
Um den Lesestoff ein wenig zu entzerren, haben wir euch die Patienten anhand des klassischen cABCDE-Schemas aufgeteilt. Und jedem Buchstaben, sofern wir Patienten dazu gesehen haben, in einen weiteren Blogpost zusammengefasst. Das bedeutet, dass dieser Blogpost als Übersicht dient und zur Verlinkung genutzt wird. Außerdem soll er dich mit den wichtigsten Informationen rund um das Gesundheitssystem von Sansibar versorgen. Das erwartet dich im Einzelnen:
- Das Gesundheitssystem
- Naturheilkunde
- A - Patienten
- B - Patienten
- C - Patienten
- D - Patienten
- E - Patienten
Das Gesundheitssystem
Grundsätzlich muss zwischen den zwei Systemen Tansanias unterschieden werden. Denn es gibt einmal das Festland und natürlich Sansibar - die berühmte Reiseinsel. Auf dem Festland müssen Patienten für Gesundheitsleistungen, sofern sie keine Versicherung haben, selbst aufkommen. Und die meisten Menschen dort, haben keine Versicherung. Das bedeutet, dass sie erst behandelt werden, wenn sie bezahlt haben. Selbst wenn es sich um einen lebensbedrohlichen Zustand handelt. Die einzige Ausnahme ist die Reanimation. Allerdings ist es auch hier so, dass der Patient nach der Wiederbelebung sofort zur Kasse gezogen wird. Mit diesen Erwartungen sind wir auch in die Notaufnahme in Sansibar an unserem ersten Tag spaziert. Doch wurden wir hier sofort überrascht. Einer der ersten Präsidenten Sansibars (ja das Festland und die Insel hatten jeweils einen eigenen Präsidenten früher) verstaatlichte sowohl das Gesundheitssystem als auch die Schuldbildung, sodass alle Einheimischen kostenlos versorgt wurden. Aus diesem Grund kommen Patienten auch nicht erst in das Krankenhaus, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist.
Dadurch siehst du in der Notaufnahme auch oft Fälle, die bei uns für gewöhnlich nicht in die Notaufnahme kommen sollten. Allerdings gibt es keine Allgemeinmedizin, sprich Hausärzte, die vieles abfangen können. Deshalb kannst du dir vorstellen, was häufig ebenfalls in die Notaufnahme spaziert...
Naturheilkunde
Das wird jetzt kein Abschnitt, bei dem ich euch die verschiedenen Kräuter oder Bäume vorstelle die wir kennengelernt haben. Sondern viel mehr ein Hinweis darauf, was für eine große Rolle Naturheilverfahren in Tansania einnehmen. Diese Erfahrung durften wir weniger im Krankenhaus sammeln, sondern viel mehr auf unseren Wanderungen durch das Land. In jedem Dorf steht ein abgezäunter Bereich, in dem sich eine Art Brunnen bzw. Wasserbehälter befindet. Rundherum sind Flaggen in verschiedenen Farben. Jede Farbe hat eine eigene Bedeutung und eine andere Wirkung auf das Dorf bzw. den Erkrankten. Für uns klingt das wie Hokuspokus, doch die Einheimischen in den abgelegenen Dörfern, vertrauen auf ihren Medizinmann. Und die Effizienz des Placeboeffekts darf auf keinen Fall unterschätzt werden. Aber neben diesen kleinen Bauten, arbeiten die Einheimischen tatsächlich viel mit Kräutern, Rinden, Beeren und vielen mehr. Und deren Wirkung zweifel ich nicht an, immerhin haben wir in unserer industrialisierten Welt verlernt, ohne Tabletten zu behandeln.
Gerade weil diese Dörfer so extrem abgelegen sind, nimmt die Naturheilkunde einen sehr großen Raum ein. Man überlegt es sich zweimal, ob man wirklich ins Krankenhaus muss wenn der Weg dahin 8 Stunden zu Fuß lang ist.
Aber dass nicht jede Wurzel den gewünschten Effekt erzielt bzw. genau das Gegenteil bewirken kann, durften wir tatsächlich in unserer Famulatur lernen.
A - Patienten
A: Airway (Atemwege)
Dieser Schirtt ist besonders wichtig, da du erheblichen Schaden anrichten kannst, solltes du ihn vergessen. Sprich du überstreckst den Kopf um die Atmung zu prüfen und dadurch rutscht die Ursache der Atemverlegung möglicherweise ein Stück tiefer (Umstrittene Ansticht - da unterscheiden sich die Meinung, lasst gern einen Kommentar dazu da!). Tatsächlich haben wir keinen Patienten in der Notaufnahme angetroffen der verlegte Atemwege hatte. Das ist auch der Grund, weshalb wir dir leider keinen Patienten präsentieren können.
B - Patienten
B: Breathing (Atmung)
Hier wird die Qualität der Atmung beurteilt. Nachdem du geprüft hast, dass die Atemwege nicht verlegt sind, prüfst du die verschiedenen Atemparameter. Hierzu gehören:
- Atemfrequenz/ - tiefe/ -typ/ -geruch
- Thoraxexkursion und Auskultation
- Gestaute Halsvenen
- Hautemphysem
- SpO2 (Sauerstoffsättigung)
Hier durften wir ein wenig Erfahrung sammeln! Die Verlinkung zum Blogpost kommt, sobald die Fälle veröffentlicht sind.
C - Patienten
C: Circulation (Kreislauf)
Sobald die Atmung stabilisiert ist bzw. unauffällig ist, beschäftigst du dich mit dem Kreislauf des Patienten. Auch hier gibt es einige Parameter, die dir zu Einschätzung helfen können.
- Rekapillierungszeit (Norm < 2sek.)
- Pulsqualität/ - quantität/ -rythmus
- Hautkolorit
- Blutdruck
Die Verlinkung zum Blogpost kommt, sobald die Fälle veröffentlicht sind.
D - Patienten
D: Disability (Neurologische Defizite)
Bisher ist dein Patient in keinem der obigen Buchstaben auffällig. Das bedeutet du musst weiter suchen. Meiner Erfahrung nach sind überraschend viele Patienten in dieser Sparte. Gerade wenn das Patientenkollektiv ein gewisses Alter überschritten hat und Schlaganfälle und Altersdiabetes eine größere Rolle spielen.
- Glasgow Coma Scale
- Pupillenweite/ -reaktion/ -isokorie
- Blutzuckerwert
- Motorik und Sensibilität
- Intoxikation?
Ich bin ein Freund des sogenannten FAST-Schemas zur Abschätzung der Wahrscheinlichkeit eines Schlaganfalls.
- F: Face - hängt eine Gesichtshälfte des Patienten? Tritt Speichel aus einem Mundwinkel aus?
- A: Arms - lass den Patienten mit geschlossenen Augen die Arme heben, sinkt einer von beiden ab?
- S: Speech - ist die Sprache des Patienten auffällig?
- T: Time - wann haben die Symptome begonnen?
Und natürlich gilt: Time is brain! Also so schnell wie möglich den Patienten versorgen!!
Die Verlinkung zum Blogpost kommt, sobald die Fälle veröffentlicht sind.
E - Patienten
E: Enviroment (Umwelt)
Dieser Teil der Untersuchung spielt in zweifacher Hinsicht eine Rolle. Einmal kann hier die Ursache des Zustandes des Patienten liegen, allerdings solltest du auch unbedingt die Umwelt bzw. Umgebung "Patientenfreundlich" gestalten. Was das bedeutet, wird ersichtlich wenn du dir die Parameter ansiehst:
- SAMPLER
- Entkleiden
- Hautkolorit
- Temperatur
- Entscheiden
Das bedeutet: dein Patient ist vielleicht sogar schon versorgt und du erfasst jetzt eine Anamnese (falls diese nicht schon parallel stattgefunden hat). Du beurteilst, ob der Patient möglicherweise unterkühlt ist und sorgst dafür das seine Körpertemperatur angemessen ist. Und natürlich entscheidest du das weitere Vorgehen. Aber jetzt nur nicht nachlässig werden, denn einmal mit dem cABCDE durch, fängst du wieder von vorne an, um sicher zu sein, dass dein Patient auch weiterhin stabil bleibt.
- S: Symptome
- A: Allergien
- M: Medikamente
- P: Patientengeschichte
- L: Letzte Mahlzeit, Letzter Stuhlgang
- E: Ereignis
- R: Risikofaktoren
Das war eine ganz kurze Aufzählung der verschiedenen Schritte des cABCDE-Schemas und die dazugehörigen Patientengeschichten findest du in dem jeweiligen Blogpost. Wir hoffen, wir haben dich ein bisschen an unserer Erfahrung teilhaben lassen können und freuen uns über viele Kommentar. Scheut nicht vor Verbesserungen zurück, die Medizin lebt vom Austausch und blüht erst so richtig bei Zusammenarbeit auf. Über nett angebrachte Kritik freuen wir uns am meisten!
Raus in die Welt mit dir!
Chiara & Marie